Besitzer landwirtschaftlicher Betriebe oder anderer KMU im ländlichen Raum stehen vor unlösbaren Aufgaben
Dass der Anteil erneuerbarer Energien an der Energieerzeugung gesteigert werden muss, wird kaum noch in Frage gestellt. Nicht zuletzt durch die aktuellen Ereignisse in der Ukraine. Doch wie dies im konkreten Fall umgesetzt werden kann, stellt die meisten Entscheidungsträger vor eine unlösbare Frage. Im Projekt SmartFarm 2 werden insbesondere landwirtschaftliche Betriebe aber auch KMU im ländlichen Bereich näher betrachtet. Die Besitzer dieser Betriebe stehen vor der Entscheidung, ob sie in erneuerbare Energien investieren sollen und wenn ja, in welcher Größenordnung:
- Soll es die 10 kWp PV-Anlage sein oder doch eher die 30 kWp, die gerade noch EEG-Umlagefrei ist oder sogar die 100 kWp Anlage?
- Rechnet es sich, zusätzlich in einen Batteriespeicher zu investieren, um die überschüssige Energie zwischenspeichern zu können?
- Bereits existierende PV-Anlagen fallen in den nächsten Jahren aus der EEG-Vergütung. Sollen die Anlagen weiter betrieben werden? Wie kann der erzeugte Strom genutzt werden?
Möchte man diese und viele weitere Fragen beantworten, muss man sich immer auch die Frage stellen: „Wie viel des erzeugten Stroms kann ich auch selber verbrauchen?“ Mit einer Einspeisung des selbst erzeugten Stroms lassen sich kaum Gewinne erzielen. Das Ziel muss es sein, möglichst viel des selbst erzeugten Stroms auch selber zu verbrauchen, damit weniger aus dem öffentlichen Netz eingekauft werden muss. Dass erhöht zum einen den finanziellen Vorteil für die Betriebe und zum anderen hilft die dezentrale Energieerzeugung und -nutzung dabei, dass öffentliche Netz zu entlasten.
Und was haben jetzt Mathematiker damit zu tun?
Im Projekt SmartFarm 2 entwickelt ein Expertenteam aus dem Bereich der KI und Optimierung gemeinsam mit Experten im Bereich der Messsensorik und Datenübertragung ein Softwaretool, welches automatisiert die optimale Dimensionierung für eine PV-Anlage oder einen Batteriespeicher berechnet.
Mit Hilfe der Messsensorik des Partners Enerserve GmbH werden hochaufgelöste Messdaten des Verbrauches eines Betriebes aufgezeichnet und mittels des Know-hows der Techniker der Universität Bremen in einer Datenbank gesammelt. Basierend auf diesen Daten werden mathematische Algorithmen der Partner Steinbeis Innovationszentrum für Optimierung, Steuerung und Regelung sowie der Arbeitsgruppe Optimierung und Steuerung der Universität Bremen eingesetzt, um die optimalen Anlagengrößen zu berechnen. Dabei werden verschiedene Faktoren von Anschaffungskosten und Wartungskosten über Strompreise bis hin zu Inflation über die nächsten 20 Jahre berücksichtigt. Das entsprechende Know-how hierzu bringt der Partner Q3 Energie GmbH in die Software mit ein.
Die Entwicklung der letzten Jahre, dass immer mehr Informationen aus Daten gewonnen werden können, wird sich auch in diesem Projekt zu Nutze gemacht. Die datenbasierte Herangehensweise über die hochaufgelösten Verbrauchsdaten der Betriebe bietet dabei die bisher ungenutzte Chance nicht nur den Gesamtverbrauch über ein Jahr zu berücksichtigen, sondern ebenfalls tägliche und jahreszeitliche Schwankungen mit in die Berechnungen einzubeziehen. Dies ist beispielsweise für die Dimensionierung eines Batteriespeichers von großem Wert, da auch dieser einen täglichen Lade- und Entladezyklus hat. Zudem hängt die optimale Batteriespeichergröße direkt mit der erzeugten PV-Energie zusammen, welche sich im Jahresverlauf sehr stark unterscheidet, sodass auch dies zu berücksichtigen ist.
Statusbericht und offene Diskussionen im zweiten Meilensteinmeeting
Anfang Februar stand der sogenannte zweite Meilenstein im Projekt SmartFarm 2 an. In einem entsprechenden Meeting mit externen Gästen wurden erste Ergebnisse der Empfehlungssoftware an drei Realbeispielen der Landkreise Osterholz und Verden aus dem Testfeld im Projekt SmartFarm 2 vorgestellt. Ein erster Vergleich mit einer herkömmlichen Empfehlung für eine PV-Anlage und einem Batteriespeicher basierend auf Erfahrungswerten ist sehr vielversprechend.
Anschließend an den Statusbericht wurde mit den externen Gästen diskutiert und weiterführende Fragen erörtert. Das Onlinemeeting war sowohl für die Projektteilnehmenden als auch die Gäste ein voller Erfolg.
Chipmangel und Corona: Verzögerungen beim Aufbau des Testfeldes
Im Projekt SmartFarm 2 ist es angestrebt ein Testfeld mit zahlreichen Demonstratoren zu errichten. Das heißt, dass in diesen Betrieben oder auch kommunalen Einrichtungen mindestens ein Messgerät verbaut werden soll, welches den Gesamtstromverbrauch aufzeichnet, aus dem dann mittels KI auf Einzelverbraucher und -erzeuger zurück geschlossen werden kann. Nach einem sehr erfolgreichen Aufruf zur Teilnahme am Projekt, ist die Warteliste interessierter Betriebe groß. Bedauerlicherweise kommt es bei der Installation der Messgeräte zu Verzögerungen. Bedingt durch die Covid-19 Pandemie gibt es immer wieder auftretende Erkrankungen und Quarantäne und der weltweiten Chipmangel sorgt für eine weiterhin anhaltende Hardwareknappheit im Bereich der Sensorik. Trotz der Verzögerungen bei den Installationen konnten aber die bisherigen Ziele erfolgreich umgesetzt werden und die Softwareentwicklung anhand der ersten vorhandenen Realdaten wie geplant durchgeführt werden.
Pläne für die nächsten zwei Jahre
Entsprechend der guten Fortschritte wird auch das Erreichen der nächsten Ziele im Projekt optimistisch gesehen. Neben der Weiterentwicklung der Empfehlungssoftware steht in den kommenden zwei Jahren die Entwicklung eines Energiemanagementsystems im Vordergrund. Wenn also bereits eigene Erzeugungsanlagen installiert sind, sollen die vorhandenen Verbraucher und ggf. Speicher so gesteuert werden, dass möglichst viel des selbst erzeugten Stroms im Tagesverlauf auch selbst verbraucht wird. Mit Hilfe der mathematischen Expertise im Bereich der Steuerung und Regelung kann auch dies automatisiert und optimal durchgeführt werden. Neu daran ist weiterhin, dass Entscheidungen dynamisch getroffen werden und nicht an feste Regeln gebunden sind, wie es in aktuellen Energiemanagementsystemen der Fall ist. Je komplexer die Systeme werden, desto eher stoßen diese regelbasierten Systeme zwar an ihre Grenzen, umgekehrt freuen sich die Mathematiker aber über das größere Optimierungspotential. Denn an dieser Stelle greift der KI basierte, mathematische Ansatz, so dass das SmartFarm 2 Team bereits heute an den Lösungen von morgen arbeitet.